Page 4 - Ärzteblatt Sachsen, September-Ausgabe 2025
P. 4
MEINE MEINUNG
Jahren leicht steigt, sinkt der Anteil der Niedergelassenen
kontinuierlich . Immer mehr bevorzugen die Anstellung im
Krankenhaus oder ambulant in größeren Praxen und MVZ .
Und doch habe ich mich im vergangenen Jahr bewusst für
die Selbstständigkeit entschieden . Der Wunsch, meine Arbeit
nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, überwog die Sorge
vor den Risiken . Endlich konnte ich bestimmen, wie meine
Praxis aussehen soll, welche medizinischen Schwerpunkte
ich setze und mit welchen Menschen ich mein Team aufbaue .
Dafür braucht es mehr als medizinisches Fachwissen: Mut,
Selbstvertrauen und eine klare Vision sind entscheidend . Mir
persönlich haben Vorbilder sehr geholfen – frühere Chefin-
© SLÄK/ FOTOGRAFISCH nen und Chefs, die mir vorlebten, dass eine gute Work-Life-
Balance auch in der Selbstständigkeit möglich ist . Wichtig
Dr . med . Julia Fritz waren Gespräche mit jungen Kolleginnen und Kollegen, die
Einblicke in ihre Gründung gaben . Unverzichtbar ist der
Niederlassung – Rückhalt der Familie, die gerade in der Gründungsphase Ge-
eine persönliche Zwischenbilanz duld und Verständnis aufbringen muss . Ebenso wichtig ist
ein tragfähiges Netzwerk: kollegialer Austausch mit Praxen
Wenn wir über die zukünftige Gesundheitsversorgung in in der Nachbarschaft, verlässliche Partner in Steuerberatung
Sachsen sprechen, stoßen wir unweigerlich auf große Her- und Bank sowie die Unterstützung von KV und Ärztekam-
ausforderungen . Der Fachkräftemangel ist längst keine fer- mer . Herzlichen Dank dafür!
ne Prognose mehr, sondern Alltag . In den kommenden Jah-
ren wird eine ganze Generation erfahrener Ärztinnen und Natürlich bringt Selbstständigkeit auch Schattenseiten mit
Ärzte in den Ruhestand gehen – viele von ihnen in Regionen, sich . Bürokratie, gesetzliche Vorgaben und administrative
in denen die medizinische Versorgung heute schon an ihre Doppelbelastungen gehören zum Alltag . Nicht selten hat
Grenzen stößt . Die Frage, wie Stadt und Land gleichermaßen man das Gefühl, dass der freie Beruf des Arztes durch Kon-
versorgt, wie ambulante und stationäre Medizin verzahnt trollen und Vorschriften seitens Krankenkassen und Politik
und wie junge Ärztinnen und Ärzte gewonnen werden kön- eingeschränkt wird . Gerade deshalb ist eine aktive Mitarbeit
nen, wird drängender denn je . aller Ärztinnen und Ärzte in der Berufspolitik wichtig .
Hinzu kommt, dass ich als niedergelassene Ärztin zum Multi-
Vor diesem Hintergrund steht jede neue Fachärztin und je- tasking fähig sein muss: Ärztin, Personalchefin, Finanz-
der neue Facharzt vor einer persönlichen Grundsatzent- planerin, Organisationsleitung – und manchmal auch das
scheidung: Gehe ich in eine Anstellung – mit geregelten Ar- sprichwörtliche „Mädchen für alles“ . Auch dass Personalge-
beitszeiten, festem Gehalt, aber begrenztem Gestaltungs- winnung heute nicht einfach ist, musste ich früh feststellen .
spielraum? Oder wage ich den Schritt in die Niederlassung,
mit unternehmerischem Risiko, dafür aber auch der Freiheit, Dennoch ziehe ich nach über einem halben Jahr eine klare
selbst zu bestimmen, wie, wo und in welchem Rahmen ich Zwischenbilanz: Die Freiheit, selbst Entscheidungen treffen
arbeiten möchte? zu können, wiegt die Verantwortung mehr als auf . Die beruf-
Auch ich habe mir als Fachärztin für Allgemeinmedizin diese liche Zufriedenheit ist hoch, die Gestaltungsmöglichkeiten
Frage intensiv gestellt . Wochenlang habe ich die Argumente sind vielfältig – und das Gefühl, direkt und selbstbestimmt
abgewogen: finanzielle Sicherheit versus wirtschaftliches an der Versorgung meiner Patientinnen und Patienten mit-
Risiko, feste Vorgaben „von oben“ versus eigenverantwortli- zuwirken, ist jede Anstrengung wert .
ches Arbeiten, starre Strukturen versus flexible Urlaubs- und Die Niederlassung mag nicht für jede und jeden der richtige
Sprechzeiten . Weg sein . Aber sie bleibt ein tragender Pfeiler unserer medi-
zinischen Versorgung . Wer bereit ist, Verantwortung zu
Statistisch betrachtet treffen immer weniger Kolleginnen über nehmen, den kann ich nur ermutigen . ■
und Kollegen die Entscheidung für eine eigene Praxis . Wäh- Dr . med . Julia Fritz
rend die Gesamtzahl der Ärztinnen und Ärzte in Sachsen seit Vorstandsmitglied
4 Ärzteblatt Sachsen 9|2025