„Deutschland ist ein stolzes Schiff“

Handwerk und Freie Berufe aus Sachsen diskutierten mit Abgeordneten in Berlin

Der Sächsische Handwerkstag und der Landesverband der Freien Berufe Sachsen hatten am 27. September 2023 in die Landesvertretung des Freistaates beim Bund geladen. Der Abend mit rund 20 Bundestagsabgeordneten widmete sich dem Schwerpunkt Fachkräftemangel. Auch die Sächsische Landesärztekammer war vertreten.

Jörg Dittrich, Präsident des Sächsischen Handwerkstages, ging in seiner Begrüßung gleich in die Vollen. Deutschland sei ein stolzes Schiff, modern ausgestattet, mit einer tollen Mannschaft, aber derzeit sitzen zu viele am Pool. Die Folge: Das Schiff kommt nicht mehr so richtig vorwärts. Deutschland wächst als einziges Industrieland aktuell nicht. Nun könnte man zwar den Motor reparieren oder das Schiff neu anmalen, bevor es sinkt. Aber helfen würde das nicht, so Dittrich. Es fehle an der richtigen Mannschaft, also Fachkräften, in allen Bereichen.

Oliver Schenk, Chef der Sächsischen Staatskanzlei, übernahm das Stichwort und betonte, der Fachkräftemangel sei ein zentrales Thema in der Regierung. Vor allem müssten zugewanderte Menschen schneller einen Beruf ausüben können. Die Anerkennung, zum Beispiel von Pflegekräften, dauere viel zulange. Erschwerend hinzu käme die demografische Entwicklung im Freistaat. Hier müsse es erleichtere Regelungen geben. Zugleich müssten junge zugewanderte Menschen verstärkt eine Berufsausbildung anstreben, statt sich mit Hilfsjobs durchzuschlagen. Über einen soliden Berufsabschluss seien die Arbeitsmarktchancen wesentlich größer.

Auch Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär und Beauftragter der Bundesregierung für den Mittelstand im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, sieht großen Handlungsbedarf bei der Anerkennung für ausländische Fachkräfte. Ein Baustein dabei sei die Digitalisierung von Visaverfahren in den Deutschen Botschaften. Nur ein Viertel bietet diese Verfahren derzeit an. Und es brauche eine Willkommenskultur, auch von Verbänden, um ausländische Fachkräfte für Sachsen zu gewinnen.

Eine größere Unterstützung selbständiger Frauen ist für RA Cornelia Süß, Präsidentin des LFB Sachsen, ein wichtiger Baustein, um mehr Frauen im Handwerk oder in den Freien Berufen zu etablieren. Derzeit ist der Spagat zwischen Selbstständigkeit sowie Kindern und Familie kaum zu meistern.

In der anschließenden Diskussion mit Vertretern aus dem Handwerk sowie Rechtsanwälten, Steuerberatern und Ärzten wurde heftige Kritik an den bisherigen Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung geübt. Es fehle an einem richtigen Zuwanderungsgesetz, am Willen zum Bürokratieabbau und an einer echten Bereitschaft zur Veränderung. Es gäbe zwar viele Studenten aus dem Ausland in Sachsen, die auch hierbleiben würden. Aber sie bekommen nach dem Studium keinen Aufenthaltstitel.

Roland Ermer, Ehrenpräsident des Sächsischen Handwerkstages und Bäcker, ergänzte mit einem eigenen Beispiel. Nachdem er einen jungen Flüchtling aus Afghanistan eingestellt und eine Berufsausbildung ermöglicht hatte, erhielt dieser keine Aufenthaltsgenehmigung. Kritisiert wurde auch, dass es keine Fast-Track-Verfahren für Behörden gibt, um Abläufe beschleunigen zu können. Denn wenn ausländische Arbeitskräfte erst ein oder zwei Jahre warten müssen, bevor sie in Deutschland arbeiten können, dann resignieren sie und ziehen Bürgergeld dem Arbeits-lohn vor.

Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, sieht eine zusätzliche Heraus-forderung in der Fachkräftesicherung. Durch zu viele staatliche Vorgaben und Bürokratie wandern zum Beispiel Ärztinnen und Ärzte aus der Praxis lieber in angestellte Positionen ab. Dadurch wird es immer schwieriger, Praxen nach zu besetzen.

Dr. Ellen John-Weißer, Vorstandsmitglied der Landeszahnärztekammer Sachsen, sieht einen Rückläufigen Trend, Werte schaffen zu wollen. Man ziehe heute eine 4-Tage Woche mit Work-Live-Balance einer herausfordernden leistungsorientierten Erwerbsarbeit vor. Um eine Zahnärztin zu ersetzen, die in Rente geht, brauche es heute entweder zwei „mittelalte“ oder drei junge Ärzte.

Als Fazit wurden den Bundestagsabgeordneten drei Schwerpunkte mitgegeben. Erstens muss der Mittelstand stärker gefördert werden. Zweitens dürfen neue Gesetze nicht zu noch mehr Bürokratie führen. Und Drittens dienen alle Handwerker wie Bäcker, Fleischer, Klempner sowie die Freien Berufe der Daseinsfürsorge. Ohne Brot, Dach oder Heizung sowie Medizin bricht die Gesellschaft auseinander. Dies müsse sich im politischen Handeln widerspiegeln.