Vielfalt des europäischen Gesundheitswesens und Freiberuflichkeit bewahren
Erklärung der Präsidenten und Vorsitzenden der Heilberufe
19.05.2015
Freihandelsabkommen
dürfen die Behandlungsqualität, den schnellen Zugang zur Gesundheitsversorgung
und das hohe Patientenschutzniveau in Deutschland und der EU nicht
beeinträchtigen. Das deutsche Gesundheitswesen ist geprägt von den Prinzipien
der Selbstverwaltung und der Freiberuflichkeit. Gerade die Gemeinwohlbindung,
der die Kammern und Freien Berufe unterliegen, trägt in erheblichem Maß zu
diesem hohen Niveau bei.
Art. 168 Abs. 7
des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union stellt klar, dass
die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer
Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und der
medizinischen Versorgung zu wahren ist. Die sich daraus ergebende Vielfalt
kommt den Patienten zugute, denn sie trägt den unterschiedlichen
Rahmenbedingungen in den Mitgliedsstaaten Rechnung. Darüber hinaus hat die
Europäische Union die Sonderstellung des Gesundheitssystems anerkannt.
Gesundheitsdienstleistungen sind besonders sensibel, allgemeinwohlbezogen und
schützenswert und können nicht mit marktorientierten Dienstleistungen
gleichgesetzt werden. Daher sind sie von der Dienstleistungsrichtlinie
ausgenommen.
Wir erwarten,
dass die Verhandlungsführer der Europäischen Union diese Grundsätze bei den
Verhandlungen beachten und unsere erfolgreichen Gesundheitssysteme - auch in
Teilen - schützen. Die Rechte der Patienten wie auch die Freiberuflichkeit von
Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten und Apothekern sowie die Kompetenzen
ihrer Selbstverwaltungsorgane dürfen nicht eingeschränkt oder aufgehoben
werden. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen in Fragen der
Gesundheitspolitik und der Ausgestaltung der Gesundheitssysteme ihre
Souveränität behalten. Wir fordern daher eine Positivliste, die klarstellt,
dass TTIP keine Anwendung auf das Gesundheitswesen und die Heilberufe findet.
Patienteninteressen
vor Kapitalinteressen
Kapitalinteressen
dürfen medizinische Entscheidungen nicht beeinflussen. In Deutschland existiert
ein weitgehend selbstverwaltetes, am Gemeinwohl orientiertes Gesundheitswesen.
Das US-amerikanische Gesundheitssystem ist im Gegensatz dazu stark
marktwirtschaftlich geprägt und weist deutlich weniger solidarische Elemente
auf. Die Struktur unseres Gesundheitswesens ist maßgeblich gekennzeichnet durch
Schutzmechanismen wie die Zulassungsvoraussetzungen für Vertrags(zahn)ärzte,
die Bedarfsplanung oder den Sicherstellungsauftrag der Körperschaften. Diese
dürfen nicht durch Freihandelsabkommen aufgebrochen werden, um rein
gewinnorientierten Unternehmen Profitmöglichkeiten durch das Betreiben von
(Zahn)Arztpraxen, Apotheken oder MVZs zu eröffnen.
Die Heilberufe
sichern trotz sinkender Ressourcen und angesichts einer alternden Gesellschaft
mit zunehmend multimorbiden Patienten weiterhin einen hohen Qualitätsstandard
im Gesundheitswesen. Eine weitere Verschärfung der Versorgungslage durch eine
noch stärkere Ökonomisierung der Medizin würde das bisherige Niveau der
Patientenversorgung jedoch nachhaltig gefährden. Darüber hinaus führt ein stark
marktwirtschaftlich geprägtes Gesundheitswesen die Patienten und somit auch die
Heilberufe in die Abhängigkeit von konjunkturellen Entwicklungen.
Patientenversorgung darf aber keine Frage der Konjunktur sein. Im Mittelpunkt
der medizinischen Versorgung muss der Patient und nicht die wirtschaftlichen
Interessen einzelner stehen.
Wir sind davon
überzeugt, dass jeder Patient auch zukünftig eine seinen Bedürfnissen
entsprechende hochwertige medizinische Versorgung erhalten muss -
flächendeckend und wohnortnah. Wir fordern die Bundesregierung auf, das
Gesundheitswesen vor Fehlentwicklungen im Zuge von Öffnungs- und
Privatisierungsverpflichtungen zu schützen. Freihandelsabkommen dienen der
wirtschaftlichen Entwicklung, aber sie müssen dort ihre Grenzen haben, wo sie die
medizinische Versorgung der Patienten beeinträchtigen.
Freihandelsabkommen
dürfen den Patientenschutz nicht gefährden
Die Vorschriften für den Berufszugang und die
Berufsausübung der Heilberufe dienen dem Schutz der Patienten und der Sicherung
einer qualitativ hochwertigen gesundheitlichen Versorgung. Sie dürfen nicht
durch die geplanten Freihandelsabkommen ausgehöhlt werden.
Die Heilberufe
sind besorgt, dass der Anwendungsbereich der Freihandelsabkommen
Gesundheitsdienstleistungen erfassen, deregulieren und darüber hinaus einer
Normung unterziehen könnte. Damit würde die den Mitgliedstaaten vorbehaltene
Gestaltung der Gesundheitssysteme nicht nur durch private internationale
industriegetragene Normungsgremien, sondern letztlich durch internationale
Freihandelsabkommen insgesamt ausgehebelt.
Die Aufgaben
der Kammern der Heilberufe sind im Wesentlichen in den Heilberufe- und
Kammergesetzen verankert. Sie beinhalten die Förderung der Qualitätssicherung
und der Fortbildung, die Gestaltung der Weiterbildung ihrer Mitglieder, die
Mitwirkung an der Berufsausbildung, die Wahrung der Interessen des
Berufsstandes und die berufsrechtliche Überwachung ihrer Mitglieder. Diese
Bestimmungen sind notwendig, um ein hohes Qualitätsniveau der medizinischen
Versorgung im Interesse der Patientinnen und Patienten sicherzustellen. Der
EuGH hat mehrfach entschieden, dass ein zwingender Grund des
Allgemeininteresses eine Beschränkung des Grundsatzes des freien
Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen kann. Zwingende Gründe des
Allgemeininteresses sind die Gewährleistung des Patientenschutzes und der
qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung. Die
Grundsätze der Freiberuflichkeit und der Selbstverwaltung durch Kammern sowie
die Vorschriften für den Berufszugang und die Berufsausübung müssen daher auch
unter der Geltung von TTIP beibehalten werden.
Die
Verhandlungsführer der Europäischen Union müssen zwingend dafür Sorge tragen,
dass der Patientenschutz und die hohe Qualität der medizinischen Versorgung
nicht einem rein marktwirtschaftlich motivierten Liberalisierungsstreben zum
Opfer fallen. Wir fordern daher, dass Gesundheitsdienstleistungen aus dem
Anwendungsbereich von Freihandelsabkommen ausgeschlossen werden.
Freihandelsabkommen
dürfen unsere Standards nicht senken
TTIP wie auch
CETA sehen einen mit Experten besetzten Regulierungsrat vor, der sich über
Regulierungsansätze etwa in den Bereichen Medizinprodukte und Arzneimittel
austauschen soll. Auch wenn es hier primär darum gehen soll, Produkte und
Dienstleistungen besser auf die Markteinführung vorzubereiten, befürchten wir
die Einführung einer Struktur, die Mitgliedstaaten ausschließt und allein den
Interessen der Industrie Vorschub leistet. Keinesfalls darf dieses Gremium über
die Köpfe demokratisch legitimierter Regierungen hinweg Fakten schaffen.
Beispielhaft
erinnern wir an die jahrelangen Diskussionen über das Verbot der Bewerbung verschreibungspflichtiger
Arzneimittel oder den zwingend notwendigen Zugang zu den aus klinischen
Prüfungen gewonnen Daten. Die Industrie verfolgt hier einen eklatant anderen
Ansatz, der bislang keinen Eingang in die EU-Gesetzgebung gefunden hat. Das
muss auch in Zukunft so bleiben.
Teilnahme am
medizinischen Fortschritt sicherstellen
Der
medizinische Fortschritt basiert auch darauf, medizinische Verfahren anzuwenden
und sie stetig zu verbessern. Anders als in den USA, die sogenannte „Medical
Procedure Patents" zulassen, sind in Europa gemäß Art. 53 lit c) des
Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) Verfahren zur chirurgischen oder
therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und
Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen
werden, von der Patentierbarkeit ausgeschlossen. Dieser Ausschlusstatbestand
verhindert, dass die Wahl der Behandlungsmöglichkeiten durch den Patentschutz
eingeschränkt wird. Ärzten muss die Freiheit erhalten bleiben, sich für die am
besten geeignete Maßnahme zur Behandlung ihrer Patienten entscheiden zu können.
Durch „Medical Procedure Patents" können Behandlungsmöglichkeiten blockiert
werden. Dies führt letztlich dazu, dass Patienten von der Teilhabe am
Fortschritt in der Medizin ausgeschlossen werden. „Medical Procedure Patents"
müssen in Europa auch weiterhin verboten bleiben.
Gesundheitsschutz
ist nicht verhandelbar
Im Rahmen der
Freihandelsabkommen wird auch über den Investitionsschutz diskutiert. Sehen
ausländische Investoren den Wert ihrer Investitionen durch politische
Entscheidungen, Gesetze oder sonstige staatliche Maßnahmen geschmälert, so
können sie neben dem ordentlichen Rechtsweg auch private Schiedsgerichte
anrufen. Schiedsgerichtsverfahren sind mit Blick auf die Gesundheitspolitik mit
erheblichen Risiken verbunden. Insbesondere die mangelnde Transparenz, die
fehlende Einbettung in den europäischen Rechtsrahmen, die Rekrutierung von
Schiedsrichtern aus internationalen Anwaltskanzleien und deren Fokus auf
internationales Handelsrecht würden dem öffentlichen Interesse und der
Komplexität der unterschiedlichen Gesundheitssysteme der Vertragsstaaten
potenziell nicht gerecht.
Sollte es zu
einer Auseinandersetzung über die Auslegung der Vereinbarungen kommen, so
stehen den Vertragsparteien zwischenstaatliche Streitbeilegungsmechanismen zur
Verfügung. Auch steht es den Vertragsparteien frei, eine ordentliche
Gerichtsbarkeit zu wählen. Die Einführung intransparenter paralleler
Justizstrukturen ist nicht zuletzt aus staatsbürgerlicher Sicht inakzeptabel.
Selbst wenn für die Anrufung solcher Schiedsgerichte hohe Hürden errichtet
würden, so reicht doch bereits das Drohpotential möglicher
Schadensersatzforderungen aus, um von notwendiger Gesetzgebung zugunsten der
öffentlichen Gesundheit abzusehen.
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